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Gewonnene Kindheit - Pubertät - Kulturevolution
Die Grundlagen unserer Gehirnentwicklung, Gesundheit und Persönlichkeit
- Prof. Dr. Gunther Moll
(Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) - 06.11.2010, 15:00 Uhr
- Städtische Bühnen Münster, Theatertreff
- Eintritt frei
Wir Menschen fallen nicht fertig vom Himmel. Wir entwickeln uns auch nicht automatisch nach einem vorgegebenen Programm. Maßgebend für unsere Entwicklung, und damit für die Ausbildung von Gesundheit sowie die Entfaltung unserer Persönlichkeit ist der Zeitraum der Schwangerschaft und Kindheit. Vor allem die in den ersten sechs Lebensjahren gesammelten Erfahrungen und Erlebnisse formen in individueller Weise die Nervenzellnetze unseres Gehirns und begründen damit wer und wie wir später sind.
Vor etwa zwei Millionen Jahren hat unser Gehirn die Pubertät erfunden, indem es den Eintritt der Geschlechtsreife und damit des "Fortpflanzungsgeschäfts" um bis zu sechs Jahren weiter nach hinten verschoben hat.
Erst nach einer bis ins zwölfte oder vierzehnte Lebensjahr andauernden Phase enger Bindung an die Eltern folgte dann der Eintritt der Geschlechtsreife - mit einer dramatischen emotionalen Entbindung und Umorientierung. Eine Zeit des Aufbruchs in soziale Verantwortung, die mit dem Generationenwechsel engstens verknüpft war. Wenn aus dem Kind ein Erwachsener wurde, waren seine Eltern mit dreißig Jahren längst alt und gebrechlich, sie gaben ihre Macht ab (meist nicht unbedingt freiwillig) und starben. Die Jungen übernahmen das Ruder. Dazu mussten sie freilich enormen Mut und Entschlossenheit aufbringen. Sie mussten risikobereit sein, willensstark, neugierig, manchmal auch hitzköpfig und aggressiv.
Und was ist heute? Heute werden sie von den Erwachsenen klein gehalten, für unreif erklärt, in Ganztagesschulen "eingesperrt", vom gesellschaftlichen Leben und Entscheidungsprozessen ausgeschlossen, ihr "abweichendes" Verhalten als "Störung des Sozialverhaltens" klassifiziert. Sie sind zum Problem und zum Objekt von Fürsorge und Erziehung geworden. Welcher Verlust an Lebensfreude, Energie, Willensstärke, Kreativität, Innovation - und welche Gefährdung für ihr Leben und die Zukunft unserer sozialen Gemeinschaft.
Gunther Moll:
Gunther Moll ist Gehirnforscher, Professor für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Kinder- und Gesundheitspolitiker. Er leitet die Kinder- und Jugendabteilung für Psychische Gesundheit am Universitätsklinikum Erlangen und beschäftigt sich im Besonderen mit den optimalen Entwicklungsbedingungen von Kindern, den Lebensbedingungen von Familien, den Chancen einer Mehrgenerationengesellschaft und der Ausbildung psychischer Gesundheit. Insbesondere kämpft er gegen die Abdrängung von Kindern und Senioren in "Aufbewahrungsanstalten" wie Ganztagesschulen und Altenheimen.
Bücher:
- Hallo, hier spricht mein Gehirn (2006)
- Endlich in der Pubertät (2008)
- Die zehn größten Erziehungsirrtümer (2010)
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