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Grußwort Silvia Andringa
Künstlerische Leitung
Neugierde ist die Quelle von allem
„Wenn du 5 bist, weißt du nichts.
Wenn du 15 bist, darfst du alles.
Jetzt bin ich 10, ich kann alles, aber ich darf nichts.“
Guus Kuijer
Ich versuche, mir das Leben eines Zehnjährigen vorzustellen; ich nenne ihn „Halbstark“.
Halbstark wohnt noch zu Hause und ist in vielen Dingen von seinen Eltern abhängig. Sie fahren ihn zum Fußballplatz, geben ihm Taschengeld und sorgen dafür, dass die Nachbarn ein Auge auf ihn haben, wenn niemand zu Hause ist. Halbstark hat noch Kuscheltiere und Lego in seinem Zimmer und hält es durchaus für möglich, dass es Elfen und Trolle gibt. Er will von Mama getröstet werden, wenn er es schwer hat, versucht mit Papa seine Kräfte zu messen und gibt in der Schule sein Bestes. Aber Halbstark geht auch seine eigenen Wege. Er gründet mit Freunden einen Club und sammelt Geld für gute Zwecke. Er erzählt zu Hause nicht mehr alles, was er in seiner Freizeit macht und denkt darüber nach, was er werden will. Er radelt alleine zur Schule und kennt den Weg ins Internet besser als die Straßen in seiner Stadt. Er schaut „Logo!“ und die Tagesschau und weiß, dass seine Eltern nicht alle Konflikte lösen können.
Mein Halbstark ist ein ganz normaler Junge. Es könnte auch ein ganz normales Mädchen sein. So wie sie sind zehntausende Halbstarke. Diese Kinder stehen mit einem Bein noch sicher in der Familie und mit dem anderen schon fest in der Gesellschaft. Sie sind nicht mehr „die Kleinen“ aber auch noch keine Jugendlichen.
Im Theater fallen sie allzu oft in die Lücke zwischen einem Kindertheater voller Magie und einem Jugendtheater, das sich auf Identitätssuche macht. Halbstarke sind für uns Theatermacher ein unvorhersehbares aber inspirierendes Publikum, mit dem man seine Geschichten teilen kann.
Es gibt ziemlich wenige Theaterproduktionen, die speziell für ein Publikum von 9 bis 13 gedacht und gemacht sind. Deshalb freue ich mich auch besonders über die außergewöhnlichen, anrührenden Vorstellungen in unserem Festival, die alle zusammen die verschiedenen Facetten von Halbstarken sehr gut widerspiegeln.
Die Tänzer von De Stilte zeigen kleine Duette, hautnah. Der Cross-over-Dance von ISH füllt am Samstagabend den großen Saal mit House, Freerunning und Zukunftsträumen. „Verschwunden“ vom Jungen Theater Münster, die deutsch-niederländische Koproduktion „HOTEL _EUROPA***“, „Storia di una Famiglia“ aus Italien, „Anne und Zef“ aus den Niederlanden zeichnen ein kräftiges Bild der Wirklichkeit und lassen die Zuschauer sich zu Hause und vertraut fühlen.
Die Vorstellungen von unseren Nachbarn aus Belgien, D´irque & Fien und La Compagnie Karyatides sowie aus Frankreich, Compagnie Bakélite, lassen uns tief eintauchen in eine magische Welt und sind voller Humor und Schönheit in Bild und Musik. Und in der polnisch-deutschen Eröffnungsvorstellung „Krabat“ laufen alle diese Linien zusammen in den Schauspielern, Puppen, Masken, in der Musik und einer schauerlich schönen Geschichte.
Natürlich kommen auch die echten Spezialisten zu Wort: Die ganze Woche zeigen Kinder, wie sie ihr Leben sehen, sie machen ihre eigene Kunst, tauschen sich aus über die Vorstellungen und erobern die Bühne, um ihre eigenen Talente zu zeigen.
2012 wurde der Kinderbuchautor Guus Kuijer mit dem Astrid-Lindgren-Gedächtnis-Preis geehrt, dem weltweit größten und wichtigsten Preis der Kinder- und Jugendliteratur. Wenn irgendjemand das Herz von Zehnjährigen erreichen kann, dann ist das sicherlich er. Viele seiner Bücher sind für das Theater bearbeitet worden. In einem der wenigen Interviews, die er gegeben hat, sagt er: „Wenn du dich wirklich vertiefst und einfühlst in jemanden, dann bekommst du Zugang in eine größere Welt. Dann bereicherst du dich selbst mit dem Leben des anderen und brichst deine eigenen Beschränkungen auf“.
Ich bin vollauf einig mit Guus Kuijer und lade deshalb alle herzlich ein, sich aufeinander einzulassen, miteinander zu vertiefen und HALBSTARK 2012 zu genießen.
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